Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstags 1933–1945. Ein biographisches Handbuch
Unter Einbeziehung der völkischen und nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten ab Mai 1924
Der Mythos Reichstag ist ungebrochen. Zahllose Besucher zieht das von Sir Norman Foster für den Deutschen Bundestag erneuerte Gebäude täglich in seinen Bann. Im Kaiserreich und in Weimar hatte der vielfach geschmähte Wallot-Bau als Schauplatz parlamentarischer Debatte und Entscheidung im Blick punkt gestanden, von 1894 bis zum »Reichstagsbrand« 1933. Zwölf Jahre später hißten Soldaten der Roten Armee ihr »Siegesbanner« auf der ausgebrannten Ruine: der Reichstag als Symbol der deutschen Katastrophe. Das Ende der Parteien und des Parlamentarismus hatte der Reichstag als Staatsorgan überlebt: In der Krolloper – der Plenarsaal im Reichstagsgebäude war am 27. Februar 1933 ausgebrannt – stimmten die Abgeordneten mit Ausnahme der Sozialdemokraten dem »Ermächtigungsgesetz« zu. Am gleichen Ort trat die »Volksvertretung« später noch zu 19 Sitzungen zusammen, zum letzten Mal am 26. April 1942. Dem nationalsozialistischen Reichstag gehörten am Ende des »Dritten Reiches« weit mehr als 800 Abgeordnete an, ausschließlich Mitglieder und Hospitanten der NSDAP-Fraktion. Unter diesen »Statisten in Uniform« befand sich nahezu die gesamte Funktionselite von Partei und Staat, deren Namen im »Archiv der deutschen Abgeordneten«, einer künstlerischen Installation im Untergeschoß des Reichstagsgebäudes, gleichsam in einer »black box« verschlossen sind.
Für die dunklen Jahre, in denen der Reichstag kein demokratisch legitimiertes Parlament war, legt Joachim Lilla unter Mitarbeit von Martin Döring und Andreas Schulz ein biographisches Handbuch vor. Mit jenen völkischen und nationalsozialistischen MdR, die vor der »Gleichschaltung« 1933 gewählt wurden, nennt das Buch 1295 »Männer des Reichstags«. In der Zeit des Nationalsozialismus hatten sie nur die eine Aufgabe, dem zuzujubeln: der Reichstag als »höchstbezahlter Männergesangverein«. Zugleich aber waren die nationalsozialistischen »Volksvertreter« als kleine oder große Machthaber Exponenten eines verbrecherischen Systems im weiten Herrschaftsbereich der von Deutschen »Führer« einstimmig besetzten Länder Europas, wie die anhand der Quellen möglichst genau bezeichneten »Täterkarieren« erkennen lassen. Umfangreiche Anhänge dokumentieren insbesondere die Entwicklung des Wahlrechts, registrieren aber auch die nicht »gewählten« Reichstagskandidaten der NSDAP. Mehrere Indizes erschließen den Band, der eine zuverlässige und leicht handhabbare Datenbasis für weitere biographische Recherchen zur Geschichte dieser Pseudo-Volksvertretung und des nationalsozialistischen Antiparlamentarismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bietet.