Parlamentarische Wahlen und Wahlsystem in der Weimarer Republik. Wahlgesetzgebung und Wahlreform im Reich und in den Ländern
Hat die nahezu reine Verhältniswahl, mit welcher der Reichstag und die Landesparlamente der Weimarer Republik gewählt wurden, die Zerstörung dieser ersten deutschen Demokratie und den Aufstieg des Nationalsozialismus mit seinen schrecklichen Folgen für Deutschland und die Welt verschuldet? Diese Frage steht seit nahezu 50 Jahren im Zentrum eines heftigen wissenschaftlichen und politischen Streites der die Wahlsystemtheorie und die Wahlgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland geprägt hat. Die Analyse dieser Problematik bildet ein Kernstück der hier vorgelegten historischen Untersuchung über die parlamentarische Wahlgesetzgebung und ihre politischen Folgen für den Aufbau und den Bestand der Republik. Die Studie ist am Seminar für Zeitgeschichte der Universität Tübingen entstanden. Sie hat für diese Thematik erstmals die reichen Archivbestände des Reiches und ausgewählter Länder erschlossen und das vielfältige und aussagekräftige Schrifttum aus der Zeit systematisch gesammelt und ausgewertet. So entstand eine dichte und wissenschaftlich wohlbegründete Darstellung dieses wichtigen Kapitels der deutschen Verfassungs- und Demokratiegeschichte. Zunächst wird auf dem Hintergrund der unter dem Stich-Wahlverfahren des Kaiserreiches gewonnenen Erfahrungen die Einführung der Verhältniswahl für die verfassunggebenden Versammlungen im Reich und in den Ländern dokumentiert und die Geschichte der Entstehung der Wahlgesetze unter der Last des verlorenen Krieges nachvollzogen. Im weiteren beschreibt die Arbeit die bereits nach wenigen Jahren aufflammende Auseinandersetzung um die Wahlreform, die auf dem Felde der Politik und der Wissenschaft, in der Presse und vor den Staatsgerichtshöfen ausgetragen wurde und in deren Verlauf sich ein deutlicher Wandel im Demokratieverständnis der Verfassungsparteien und der Rechtsprechung vollzog. Das Ideal der »gerechten« und spiegelgleichen Repräsentation aller politischen Kräfte trat zurück hinter der Einsicht, daß die parlamentarische Wahl vor allem eine stabile Regierungsmehrheit hervorbringen müsse. die der Demokratie das Überleben ermöglicht. Das Bonner Mischwahlsystem ist als eine Folge der bitteren Lehren dieser nur noch teilweise und ohne rettende Wirkung kurierbaren Konstruktionsfehler des Verfassungsaufbaus anzusehen. Die Analyse widmet sich schließlich eingehend den Auswirkungen des Wahlsystems auf das Parteienfeld, die Wahlentwicklung und den Niedergang der Republik. Sie bietet zudem eine Bibliographie des zeitgenössischen Schrifttums.