Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Öffentlichkeit im Reichstag

Der Reichstag der Weimarer Republik (Umschlagbild nach einem Gemälde von Annot; Kunstsammlung des Deutschen Bundestages) ist bisher von der Forschung übersehen worden. Aus der Perspektive einer Kulturgeschichte der Politik fragt diese Arbeit: Wie gestaltete sich die Kommunikation der Vertreter einer »fragmentierten Gesellschaft« in einer Institution, in der man einander nicht leicht ausweichen konnte? Mit ethnologischen und diskursanalytischen Methoden beschreibt sie Vergesellschaftungsstrukturen und Arbeitsformen, den Alltag und das Selbstverständnis in einem Parlament, in dem ein großer Teil der Mitglieder keine parlamentarischen Vorerfahrungen hatte. Sie untersucht die kommunikativen Routinen, die Sprachformen, in denen Konflikte ausgetragen werden konnten, und arbeitet heraus, daß es ein wesentlicher Bestandteil dieser Routinen war, im Konflikt das Weitermachen zu ermöglichen. Gemeinsame Erfahrungen, ein fester Regelkanon und weithin geteilte Ordnungsvorstellungen führten dazu, daß sich eine breite Koalition von links bis rechts ergab, die Politik als regelgeleitetes Handeln auffaßte und deshalb die »Legitimation durch Verfahren« hochschätzte. Nimmt man die Kommunisten und später die Nationalsozialisten aus, die dieser Vorstellung von »guter Politik« widersprachen, so ergab sich in den zwanziger Jahren ein gewissermaßen nicht intendierter Trend zum »pragmatischen Republikanismus«, nicht notwendig aus politischer Überzeugung, sondern als Ergebnis von Alltagshandeln. Die Kehrseite dieses Integrationsprozesses war ein schwieriges Verhältnis zur Öffentlichkeit, die interne Verständigung mit Mißtrauen beobachtete. Parlamentskritik war nicht von vornherein Ausfluß einer antirepublikanischen Haltung. Vielmehr kann sie verstanden werden als der Effekt von unerfüllbar hohen Erwartungen seitens der Öffentlichkeit, in denen das Versagen des Parlaments vorgezeichnet war. Die Arbeit beleuchtet so nicht nur einen bisher unerforschten Aspekt der Politik- und Mentalitätsgeschichte der Weimarer Republik, sondern leistet auch einen historischen Beitrag zur Soziologie politischer Institutionen.

3. überarbeitete Auflage 2012, erste Auflage 2002

Von
Reihe
Parlament und Öffentlichkeit, Bd. 4 / Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus u. der politischen Parteien, Bd. 135
Erscheinungsjahr
Seiten
536
Format
Broschur
Preis
24,80 €
ISBN
978-3-7700-5315-5
Buchcover: "Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik" von Thomas Mergel