Föderalismus und Parlamentarismus im Wilhelminischen Reich
Die zögernde Herausbildung demokratischer Führungsformen ist ein Spezifikum der modernen deutschen Verfassungs- und Sozialgeschichte. In dieser Untersuchung wird gezeigt, daß aus der verfassungspolitischen und gesellschaftlichen Situation des 19. Jahrhunderts der Weg zur Demokratie in Deutschland über das Entstehen eines funktionsfähigen parlamentarischen Systems führen mußte und daß hier die konstitutionellen Mechanismen einsetzten, die eine solche Entwicklung zu blockieren bestimmt waren.
Die Bismarcksche Verfassungskonstruktion von 1867 und 1871 verfolgte den Zweck, die allmähliche Entfaltung des Parlamentarismus hintanzuhalten. Die zentrale Rolle spielte hierbei der Föderalismus, den die kleindeutsche Reichsverfassung zum Bauprinzip des neuen Staates gemacht und in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen um das Problem der Parlamentarisierung gerückt hatte. Der Bundesrat des Bismarckschen Kaiserreiches, mit keinem föderalistischen Organ irgendeines anderen Staates Vorbild für die Ländervertretung in der heutigen Bundesrepublik – ist dementsprechend der wichtigste Gegenstand der vorliegenden historisch-politologisch orientierten Darstellung. Sie geht der Frage nach, warum das Deutsche Reich, das um die Jahrhundertwende bereits ein hochentwickelter Industriestaat mit entsprechenden sozialen und ökonomischen Strukturverhältnissen war, trotzdem parlamentarisch-demokratische Verhaltensweisen erst mit erheblicher Verzögerung entstehen ließ; sie verfolgt den Weg, auf dem der Parlamentarismus sich schließlich doch durchzusetzen begann. Ein solcher Ansatz ist um so aufschlußreicher als in diesem nicht völlig ausgereiften Prozeß spätere verhängnisvolle Fehlentwicklungen der deutschen Geschichte zu einem beträchtlichen Teil ihre Wurzeln haben.