Die Spitzenverbände der Wirtschaft und das erste Kabinett Brüning. Vom Ende der Großen Koalition 1929/30 bis zum Vorabend der Bankenkrise 1931. Eine Quellenstudie
In der Geschichte der Weimarer Republik nimmt das erste Kabinett Brüning eine ganz besondere Stellung ein. Politisch erhebt es den Anspruch, unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen im Parlament zu sein und sich nur auf das Vertrauen des Reichspräsidenten zu stützen. Wirtschafts- und finanzpolitisch reagiert es auf die sich verschärfende Wirtschaftskrise mit Preissenkungen Ausgabendrosselung und Steuererhöhungen. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen die verschiedenen Ansichten von Industrie, Handel, Banken und Landwirtschaft sowohl zur Deflationspolitik als auch zum Wandel der Verfassungswirklichkeit, ja zum Staat von Weimar und den damit verbundenen Veränderungen gegenüber dem Wilhelminischen Kaiserreich. Der Autor stützt sich dabei auf außerordentlich umfangreiches Quellenmaterial aus staatlichen und privaten Archiven. Er ist dadurch in der Lage, zu fast allen Maßnahmen der Regierung Brüning auf finanz- sozial, agrar- und wirtschaftspolitischem Gebiet die innerverbandlichen Diskussionen und Konflikte aufzuzeigen und so ein differenziertes Bild des Wirkens aller maßgebenden Spitzenverbände der damaligen Zeit zu geben. Zugleich werden an Hand zahlreicher Beispiele die verschiedenen Formen der Zusammenarbeit von Verbandsspitzen, Ministerialbürokratie und Reichsregierung dargelegt. Nach einer Darstellung der Verbandsorganisationen und deren personellen Verflechtung folgt ein Überblick über die Grundpositionen der Spitzenverbände in den letzten Monaten der Großen Koalition. Die beiden Hauptteile der Untersuchung sind nicht chronologisch, sondern systematisch gegliedert der eine umfaßt den Zeitraum von der Ernennung der Regierung Brüning bis zu den Reichstagswahlen vom 14. September 1930, der andere den folgenden Zeitraum bis zum Vorabend der Bankenkrise im Sommer 1931. Sie behandeln u. a. Fragen der Osthilfe und des deutsch-österreichischen Zollunionsprojektes, die Diskussion um die staatliche Zwangsschlichtung und um die verschiedenen Versuche einer allgemeinen Lohnsenkung und Fragen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie der staatlichen Beeinflußung des allgemeinen Preisniveaus. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Verfasser den verschiedenen Versuchen einiger namhafter Industrieller, über eine generelle Verständigung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften die SPD stärker an das Kabinett Brüning zu binden, ja eine direkte Regierungsbeteiligung der SPD vorzubereiten. Den Abschluß bildet eine Untersuchung der Regierungskrise vom Juni 1931, wobei ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Vorgängen am internationalen Kapitalmarkt und den politischen Positionen der industriellen und gewerblichen Spitzenverbände deutlich zutage tritt.