Die Parlamentarisierung des Deutschen Reiches

Die Frage nach den Wurzeln der Demokratie gilt als eines der Schlüsselprobleme der neuesten deutschen Geschichte. In der politologischen und staatsrechtlichen Betrachtungsweise konzentrieren sich die Forschungen auf Untersuchungen, inwieweit und auf welche Weise aus dem deutschen Konstitutionalismus, der Verfassungsform des 19. Jahrhunderts, das parlamentarische Regierungssystem sich herausentwickeln konnte.

Die vorliegende Arbeit, eine Weiterführung der Studie des Verfassers über »Föderalismus und Parlamentarismus im Wilhelminischen Reich«, weist nach, daß sich das Deutsche Reich bereits seit geraumer Zeit vor dem Ersten Weltkrieg im Prozeß einer »stillen Parlamentarisierung« befand, den Weg zur Demokratie also lange vor der Staatsumwälzung von 1918 eingeschlagen hatte. Sie zeigt ferner, daß die Ereignisse von 1918 für die stetige Ausreifung demokratischer Verhältnisse eher nachteilig waren. Grundlage der Darstellung bilden sowohl umfangreiches ungedrucktes Material aus den bedeutendsten deutschen Archiven als auch die heute verfügbaren, vor allem von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien besorgten Dokumenteneditionen.

Die Ergebnisse des Buches sind um so bedeutsamer, als die Geschichtsschreibung über das zweite deutsche Reich seit einiger Zeit Zu einem Exerzierfeld für allerlei Neuerungs- und Umsturzbestrebungen innerhalb der historischen Wissenschaft geworden ist. Die heute allgemein akzeptierte Auffassung, im Kaiserreich sei die Entfaltung der Demokratie gegenüber der Industrialisierung erheblich im Verzug gewesen, wird neuerdings von etlichen Autoren zu der radikalen These zugespitzt, das Reich sei in seinen Verfassungsstrukturen völlig immobil, also staatlich-politisch nicht reformierbar gewesen, so daß zur Begründung demokratischer Verhältnisse die Revolution erforderlich gewesen sei. Die vorliegende Untersuchung widerlegt derlei überspitzte Ansichten. In methodischer Hinsicht dient die Studie dem Zweck, entgegen einem heute bisweilen erhobenen Dominanzanspruch innerhalb der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte die Notwendigkeit einer modernisierten politischen Geschichte darzutun, deren Theoriefähigkeit zu demonstrieren und einseitige Schlagworte wie das vom »Primat der Innenpolitik« als nicht erkenntnisfördernd zu widerlegen.

Von
Reihe
Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus u. der politischen Parteien, Bd. 60
Erscheinungsjahr
Sprache
Deutsch
Seiten
533
Format
Linson
Preis
39,90 €
ISBN-10
3-7700-5092-5