Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1961–1966
Das Grundgesetz gewährleistet das freie Mandat der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, erwähnt hingegen nur beiläufig die Fraktionen, durch die der einzelne Abgeordnete erst seine vollen parlamentarischen Mitwirkungsrechte gewinnt. Die Fraktionen strukturieren die Arbeit des Gesetzgebungsorgans, bündeln politische Meinungen zu parlamentarischen Entscheidungen und garantieren so das unverzichtbare Zustandekommen tragfähiger Mehrheiten. Über die Fraktionen wirken in der repräsentativen Demokratie zudem die politischen Parteien an der staatlichen Willensbildung mit. Rechtsstellung und Bedeutung der Fraktionen im Deutschen Bundestag trägt die Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien mit dem Editionsschwerpunkt »Fraktionsprotokolle« Rechnung: Die in Form von Bestandseditionen veröffentlichten Sitzungsmitschriften liefern einen profunden Einblick in das Innenleben der Fraktionen, zeigen den parlamentarischen Alltag mit der beständigen Suche nach erforderlichen Kompromissen; sie erhellen Hintergründe und Motive, Ziele und Strategien, zeigen Spielräume und Zwänge, Bündnisse und Frontstellungen. Insgesamt 14 Teilbände erschließen nunmehr für die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD diese erstrangige Quelle zur parlamentarischen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1966. Die vorliegenden vier Teilbände umfassen die Sitzungsprotokolle der CDU/CSU-Bundestagsfraktion während der 4. und beginnenden 5. Wahlperiode. Sie spannen den Bogen von der ausklingenden Ara Adenauer zum Beginn der Großen Koalition. Der langen Kanzlerschaft Adenauers folgte unter seinem Nachfolger Erhard der Versuch eines Neuanfangs, der keiner werden sollte. Statt dessen erlebte die Republik nach einer kurzen Phase erwartungsfrohen Optimismus den »Sturz auf Stottern« ihres glücklosen Regierungschefs. Die »Kanzlerdämmerung« breitete ihren Schatten über die Fraktion. Diese hatte also zwischen 1961 und 1966 gleich zwei Kanzlerwechsel zu meistern, mithin zwei harte Prüfungen zu bestehen, die sie – wie es ihr selbst schien – an den Rand des Abgrunds führten. Doch die Fraktion wuchs auch an der Herausforderung. Sie emanzipierte sich zusehends vom Regierungschef, nutzte die geschaffenen Freiräume und reifte unter der Leitung des jungen, aufstrebenden Rainer Barzel, der in Nachfolge Heinrich von Brentanos den Fraktionsvorsitz übernommen hatte, zum »zweiten Entscheidungszentrum« neben dem Kabinett. So wie die Jahre von 1961 bis 1966 allgemein als Periode des Übergangs in einer materiell konsolidierten Gesellschaft gelten, die sich anschickte, nach Veränderung zu verlangen, spiegelt sich auch in den Protokollen der CDU/CSU Fraktion die spannungsgeladene Unruhe der Zeit. Reformwille rivalisiert mit Retardierendem, politischer Wunsch prallt auf finanzielle Wirklichkeit. Dokumentiert sind neben den politischen Affären, den Regierungskrisen und den Querelen der Koalition die gesetzgeberischen Themen der Zeit. Ob die zerredete Reform der Krankenversicherung oder das hastige Stopfen von Haushaltslöchern der Leser entdeckt dabei so manches von erschreckend dauerhafter Aktualität. Vor allem aber findet er einen unverzichtbaren Quellenfundus, der aus dem vollen schöpfen läßt.