Die Anfänge der Ära Seeckt. Militär und Innenpolitik 1920–1922
Der Kapp-Lüttwitz-Putsch markiert eine oft übersehene Zäsur in der Geschichte der Weimarer Republik. Die Stellung, die sich die nach dem Zusammenbruch von 1918 neu geschaffene Armee als Stütze der inneren Ordnung in der Realverfassung der jungen Republik zu sichern gewußt hatte, wurde durch die Beteiligung von Truppen und Dienststellen der Reichswehr zutiefst erschüttert; sie verlor den Primat des innenpolitischen Krisenmanagements an zivile Instanzen, gleichzeitig aber auch die innere Sicherheit, in ihrem Willen zur Durchsetzung von Ruhe und Ordnung mit der Regierung und den sie tragenden Parteien übereinzustimmen. In überraschender, aber sachlich konsequenter Parallelität haben die neu berufenen Chefs von Heer und Marine die Truppe auf ihre militärischen Aufgaben zu konzentrieren und aus den Verstrickungen der Tagespolitik zu lösen versucht, ohne doch dabei das Ziel aus dem Auge zu verlieren, die Armee wiederum die Stellung im Staate gewinnen zu lassen, die ihrem Rang nach den Anschauungen ihrer Führer gebührte. General v. Seeckt, dem die Überwindung der Krise in dem für das Ganze der Armee und des Reiches ausschlaggebenden Heer gelang, gab der Reichswehr nicht allein durch die »reine Sachlichkeit des Dienstes« das ihr eigentümliche Gepräge, er vermochte sie auch zu einem schlagkräftigen Instrument zu gestalten, das unter veränderten Umständen wieder zum zentralen Faktor der Innenpolitik werden konnte.
Die durch den Kapp-Lüttwitz-Putsch ausgelöste Krise der Armee, die Wege zu ihrer erneuten Konsolidierung und zugleich das durch alle Rückschläge nicht beirrte Streben der Reichswehrführung nach der ausschlaggebenden Position im Gefüge des Staates, für die der Artikel 48 der Weimarer Verfassung die rechtlichen Voraussetzungen bieten sollte, werden in diesem Band anhand einer aus zahlreichen Archiven zusammengetragenen Dokumentation erstmals mit der erforderlichen Deutlichkeit und Zuverlässigkeit erkennbar.