Das Krisenjahr 1923. Militär und Innenpolitik 1922–1924

Die große Krise der Weimarer Republik im Jahre 1923 veranlasste den Reichpräsidenten Ebert, in Wahrnehmung seiner verfassungsmäßigen Vollmachten die Reichswehr mit der vollziehenden Gewalt zu betrauen. Die Armee, die nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch ihren inneren Zusammenhalt erst wieder hatte neu gewinnen müssen, wurde durch diese Entscheidung Eberts zum zentralen Faktor der deutschen Innenpolitik. Die Energie, mit der ihre Führung die ihr damit verliehenen Möglichkeiten nutzte, haben Zeitgenossen und Spätere oft dazu veranlaßt, den auf die Weise entstandenen Verfassungszustand als »Diktatur« des Chefs der Heeresleitung, des Generals von Seeckt, zu bezeichnen. Eine genaue Analyse ergibt jedoch, daß die Reichswehr der Kontrolle durch die obersten zivilen Instanzen, Reichspräsident und Reichskanzler, nie vollständig entglitt. Vielmehr sind die sehr weittragenden Pläne für eine innenpolitische Umgestaltung, welche die Reichswehführung beim Eingreifen des Reiches gegen die sozialdemokratisch-kommunistische Regierungskoalition in Sachsen leiteten, an der Gegenwirkung der politischen Führung, des Reichskanzlers Stresemann, gescheitert. Die Rückgabe der vollziehenden Gewalt an den Reichspräsidenten nach der schweren Überwindung der schwersten Krisenerscheinung im Frühjahr 1924 stellte deshalb die Verfassungsnormalität unverändert wieder her.

Das in den vorangegangenen Bänden dieser Reihe dokumentierte konsequente Streben der Reichswehrführung, durch die Übernahme der vollziehenden Gewalt nach Art. 48 der Weimarer Verfassung zum innenpolitischen Krisenregulator zu werden, war im Herbst 1923 zum Ziele gelangt; aber im Besitz der Macht, wie sie im rahmen der Verfassung nicht größer erlangt werden konnte, sah sich die Armee doch nicht in der Lage, Deutschland eine neue Ordnung zu geben, die den innenpolitischen Zielsetzungen des Militärs besser entsprochen hätte. Die Armee hat seither diesen Weg zur Eroberung der Macht im Innern nicht mehr beschritten. Der Erfolg des militärischen Ausnahmezustandes von 1923/24 in der Bemühung um die Wiederherstellung geordneter Zustände überdeckt in der Rückschau auch oftmals die Tatsache, daß die Reichswehr in Bayern durch ihre Politik der »Vaterländischen Verbände« in Schwierigkeiten geriet, die zeitweilig die Einheit des Reichsheeres zerstörten.

Von
Reihe
Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien II – Militär und Politik, Bd. 4
Erscheinungsjahr
Sprache
Deutsch
Seiten
465
Format
Leinen mit Schutzumschlag
Preis
75,70 €
ISBN-10
3-7700-5110-6