Bismarcks Reichstag. Das Parlament in der Leipziger Straße. Fotografiert von Julius Braatz
Im September 1999 nahm der Deutsche Bundestag seine Arbeit in dem erneuerten Reichstagsgebäude in Berlin auf. Der Wallot-Bau bezeichnet den zentralen Ort deutscher Parlamentsgeschichte bis zum Ende der Weimarer Republik. Viele Parlamentarier des Kaiserreichs haben das Gebäude jedoch nie betreten: von 1871 bis 1894 tagte der Reichstag in der Leipziger Straße. Das provisorische Parlamentshaus, nach dem Neubau Wallots abgerissen, war Schauplatz leidenschaftlicher politischer Debatten, die mit Namen wie Lasker, Richter, Windthorst, Bebel und Bismarck verbunden sind.
Dieses Buch ist »Bismarcks Reichstag« in der Leipziger Straße gewidmet. Es präsentiert 136 Aufnahmen, die der Berliner »Hof Photograph« Julius Braatz im April und Mai 1889 in den Räumen des Parlaments anfertigte. Mit seinen Fotografien dokumentierte er den Alltag der Abgeordneten, das scheinbar zufällige Miteinander der Fraktionen und Gruppierungen im Foyer, die Arbeits- und Repräsentationsräume des Hauses sowie die parlamentarische Debatte im Plenarsaal. Das Auffinden der bislang unveröffentlichten Serie ist ein parlaments- und fotohistorisches Ereignis: Als die vermutlich frühesten reportageähnlichen Lichtbilder aus einem Parlament überhaupt geben die Fotografien von Julius Braatz den Blick frei auf die politische Bühne des Reichs. Der Betrachter wird Zeuge, wie eine demokratisch legitimierte politische Elite ihr Selbstbild entwirft und anpaßt. Nicht zuletzt ist das Buch eine Hommage an Julius Braatz, einen zu Unrecht vergessenen Pionier der dokumentarischen Fotografie.